Legionellen: Bericht Mai 2022

Zwischenbericht der Legionellen-Arbeitsgruppe im Mai 2022

Als Fortführung vom „Zwischenbericht der Legionellen-Arbeitsgruppe im März 2022“, hier der Zwischenbericht vom Mai 2022. Die im März-Zwischenbericht abgehandelten Punkte sind sicher noch präsent. Hier wird daher nur auf Aktualisierungen und neue Punkte eingegangen.

Sonderfall 3-Zimmer-Wohnungen

Bisher gingen wir davon aus, dass die Trinkwasser-Anlage in unserer Immobilie (entsprechend den 8 Wohnungen je Etage) in 8 Stränge und zwei Druckbereiche eingeteilt ist. Nämlich dem Niederdruckbereich, der vom Erdgeschoss bis zur 7. Etage reicht, und dem Hochdruckbereich von der 8. Etage bis zur 13. Etage bzw. Penthouse.

Für die Wohnungstypen, bei denen sich zwischen Bad und Küche der Flur befindet (3-Zimmer-Wohnungen) wurde diese Aussage schon lange etwas angezweifelt. Die Frage „Wie kommt das Trinkwasser dann vom Bad in die Küche“ wurde meist „wachsweich“ und wie wir heute wissen, auch falsch beantwortet:

Abbildung a: Entlüftungseinrichtung in der Küche einer 3-Zimmer-Wohnung im 7. OG

  • Warum befinden sich Wasserzähler auch in den Küchen der 3-Zimmer-Wohnungen, wenn sich in den Bädern doch schon Wasserzähler befinden? Installationstechnisch wäre es sinnvoller, den Wasserverbrauch der Küchen gleich durch die Wasserzähler der Bäder mitzuerfassen

Abbildung b: Wasserzähler in der Küche einer 3-Zimmer-Wohnung

Wie kommt es nun, dass sowohl die GBO, als auch die bisher hinzugezogenen Sanitär-Spezialisten von nur 8 Steigleitungen in unserer Immobilie ausgehen? Bei drei je Etage vorhandenen 3-Zimmer-Wohnungen müssen wir eigentlich von 11 Steigleitungen ausgehen!

Auf die Lösung brachte uns dankenswerterweise der Hausmeister Hr.König. Er machte uns darauf aufmerksam, dass im Keller von den Badezimmer-Strängen der 3-Zimmer-Wohnungen hinter den Haupt-Absperrhähnen dieser Stränge jeweils ein Abzweig für Warm- und Kaltwasser vorhanden ist. Über diese Abzweige wird das Wasser in jeweils separaten Schächten als „nicht-offizielle“ Steigleitungsstränge in die Küchen der 3-Zimmer-Wohnungen geführt.

Bleibt die Frage, warum diese Küchenstränge der 3-Zimmer-Wohnungen nicht als „offizielle“ Trinkwasser-Stränge geführt werden, sondern nur als Abzweige. Wahrscheinlich ist es eine sanitärtechnische Definitionsfrage. Diese Abzweige verfügen nicht über eigene zentrale Absperrvorrichtungen! D.h. werden die Badezimmer-Stränge für die 3-Zimmer-Wohnungen über die zentralen Ventile im Keller abgesperrt, führt dies auch zur Trinkwasser-Unterbrechung in den zugehörigen Küchen. Eventuell dürfen die Trinkwasser-Stränge der Küchen der 3-Zimmer-Wohnungen daher nicht als Steigleitungen benannt werden, obwohl sie die exakt gleiche Funktion erfüllen.

Ob die bisher hinzugezogenen Sanitär-Fachleute die beschriebene Besonderheit der 3-Zimmer-Wohnungen erkannt und berücksichtigt haben, ist nicht bekannt.

Für die Eigentümer von 3-Zimmer-Wohnungen hat diese Besonderheit jedoch gravierende Auswirkungen:

  • Eine ausschließlich in den Bädern durchgeführte legionellenbedingte Sanierung der kompletten Steigleitung oder des wohnungsspezifischen Steigleitungsabschnitts wird das Legionellen-Risiko nur bedingt einschränken!! Für eine umfassende Sanierung der Trinkwasser-Anlage muss auch die Wasserversorgung der Küchen angegangen werden!
  • In allen Wohnungen sind inzwischen sicher passgenaue Einbauküchen vorhanden. Die Sanierung der Trinkwasser-Anlagen in den Küchen gestaltet sich um ein Vielfaches komplexer, als die noch überschaubare Sanierung in den Bädern. Dies ist ein weiterer Grund die vorgeschlagene und von der WEG abgelehnte Sanierung der kompletten Steigleitung unbedingt zu umgehen
  • Die Trinkwasserversorgung der Küchen gehört zum Gemeinschaftseigentum und deren Sanierung muss von der WEG getragen werden

PAUL-System

Im Zwischenbericht März 2022 wurde ausführlich auf die Technik und die Arbeitsweise des Paul-Systems eingegangen. Entsprechend werden hier nur die ermittelten wirtschaftlichen und juristischen Randbedingungen des Paul-Systems erläutert:

  • Die PAUL GmbH in Mannheim ist eine 100%ige Tochter der ACTAQUA GmbH.
    Actaqua GmbH, Theodor-Heuss-Anlage 12, 68165 Mannheim, https://ir.actaqua.de/
  • Actaqua wäre im Falle der Einführung des Paul-Systems auch unser Vertragspartner. Daher wird hier zukünftig von Actaqua/Paul gesprochen
  • Die Suche nach Unternehmen, die vergleichbare Anlagen anbieten, war leider ergebnislos. Im Gegenteil: Bei intensiverer Beschäftigung mit einem vermeintlich vergleichbaren „Konkurrenten“ (Girolami GmbH, Mannheim) stellte sich heraus, dass dieser eng mit Actaqua/Paul zusammenarbeitet
  • Legionellen-Arbeitsgruppe bemüht sich aktuell um einen Referenzbesuch bei einer Immobilie im Rhein-Main-Gebiet, welche das Paul-System einsetzt und sich mit Actaqua/Paul in einem Vertragsverhältnis befindet. Dies gestaltet sich jedoch sehr schwierig, da Actaqua/Paul bisher keine wirklich unabhängigen Anwender benennt. Und dies, obwohl Actaqua/Paul damit wirbt, dass „über 100.000 Wohneinheiten bereits heute an PAUL angeschlossen sind“

Actaqua/Paul-Wartungsvertrag (Warmwasser)

  • Actaqua/Paul wäre ein Wartungsvertrag über 10 Jahre für das Warmwasser-Zirkulationssystem, der je Wohnungseinheit und Monat mit 7,74 € (incl. MwSt) berechnet wird, ausgehend immer noch von je 8 Niederdruck- und 8 Hochdrucksträngen
  • der über die Vertragslaufzeit gezahlte Gesamtbetrag 105,8 T€ (incl. MwSt)
  • Der Wartungsvertrag beinhaltet das Messen und Regeln des Warmwasser-Zirkulationssystems zum Vermeiden von nachteiligen Temperaturbereichen und Wasser-Stagnation sowie ggf. automatisiertem Spülprogramm
  • Lieferung, Einbau, Inbetriebnahme und Wartung der technischen Apparaturen (Sensoren, Stellventile, Sende- und Empfangseinrichtungen, Verkabelung) des Paul-Systems erfolgen ohne separate Berechnung durch Actaqua/Paul oder von ihr beauftragten Sub-Unternehmen
  • Die WEG bevollmächtigt Actaqua/Paul im Namen der WEG für das durchzuführende Vorhaben BAFA-Zuschüsse zu beantragen. Beschiedene BAFA-Zuschüsse behält Paul/Actaqua zur freien Verfügung ein
  • Ein Actaqua/Paul-Mustervertrag liegt der Legionellen-Arbeitsgruppe vor. Der Vertrag ist so formuliert, dass Actaqua/Paul praktisch keine verbindlichen und einklagbaren Verpflichtungen eingeht, die WEG aber auch im Falle von nachgewiesener Unwirksamkeit des Paul-Systems kaum aus dem 10-Jahres-Vertrag herauskommen kann

Actaqua/Paul-Bewertung

  • Legionellen-Arbeitsgruppe hält das Paul-System für ein theoretisch in sich schlüssiges Verfahren, um den Legionellenbefall in den Warmwasser-Steigleitungssträngen unserer Immobilie zumindest stark einzuschränken.
  • Zum Actaqua/Paul-Mustervertrag hat die Legionellen-Arbeitsgruppe kundenfreundlichere Alternativen ausgearbeitet, die Actaqua/Paul derzeit prüft
  • Die Legionellen-Arbeitsgruppe besteht auf die Nennung von (mit uns vergleichbaren) Referenzen, in denen das Paul-System erfolgreich gegen Legionellenbefall eingesetzt wurde. Dies gestaltet sich jedoch schwierig, da Hausgesellschaften ungerne mit überstandenem Legionellenbefall „werben“
  • Die Legionellen-Arbeitsgruppe hält das Paul-System weiterhin für einen „rundum-sorglos-Ansatz“, der weiter intensiv verfolgt wird

Viega AquaVip elektronisch reguliertes ​Zirkulationsventil

Nachdem das Paul-System vom theoretischen Ansatz der regulierten Zirkulation durchaus überzeugen konnte, hat sich die Legionellen-Arbeitsgruppe mit dem Markt der regulierten Zirkulationsventile beschäftigt. Fündig wurden wir bei Firma Viega:

Die Viega GmbH & Co. KG in Attendorn (südliches Sauerland) ist ein sehr breit aufgestelltes  international tätiges Familienunternehmen im Bereich der Sanitär- und Heizungstechnik mit weltweit über 4.700 Mitarbeitern.

Viega bietet mit AquaVip ein elektronisch regulierendes Zirkulationsventil an, welches in seiner Funktionalität durchaus mit den Stellventilen des Paul-Systems vergleichbar ist. Unter dem Namen AquaVip-Controller ist eine Steuereinheit vorhanden, die zurzeit nur als Sammelstelle für Informationen von den Ventilen fungiert, aber zukünftig mit entsprechender Software einen ähnlichen automatischen Mess- und Regelungsablauf wie das Paul-System sicherstellen soll. Diese Software befindet sich derzeit in der Entwicklung und ist noch nicht marktreif.
https://www.viega.de/de/produkte/Katalog/Armaturen/Easytop-Systemarmaturen/Zirkulationsregulierventile/AquaVip-Zirkulationsregulierventil-5881-3.html

Die Haupt-Unterschiede zwischen dem Paul-System und der Lösung von Viega sind:

  • Beim Viega AquaVip-Ventil wird die Wassertemperatur gemessen und mit einer einstellbaren Soll-Temperatur (z.B. 57°C) abgeglichen. Bei Abweichungen der Ist-Temperatur von der Soll-Temperatur nach oben, wird das Stellventil selbstregulierend etwas geschlossen. Bei Abweichungen der Ist-Temperatur von der Soll-Temperatur nach unten, wird das Stellventil mehr geöffnet
  • Beim AquaVip-Ventil erfolgt der hydraulische Abgleich indirekt über die thermische Messung und Steuerung der Ventile, während das Paul-System die Temperatur und zusätzlich auch den Volumenstrom misst und steuert
  • Beim AquaVip werden zwei Keramik-Scheiben gegeneinander verschoben. Diese Keramik-Scheiben besitzen zwei Viertel-Kreis-Öffnungen. D.h. selbst bei Stellung „komplett offen“ steht nur der halbe Ventil-Querschnitt für den Durchfluss zur Verfügung. Man sieht dies sehr gut in dem Video zum Ventil https://www.youtube.com/watch?v=lkxM8E4UfvA. Das Paul-System arbeitet hingegen mit Kugelventilen. Kugelventile geben bauartbedingt bei der Stellung „komplett offen“ den gesamten Ventil-Querschnitt für den Durchfluss frei
  • Die Firma Viega bietet das AquaVip zum selbstregelnden thermischen und hydraulischen Strangabgleich an. Eine Reduzierung der Legionellenbelastung geht damit theoretisch zwar immer einher, ist jedoch nicht die primäre Zielsetzung dieser Regel-Ventile
  • Die Firma Viega verkauft lediglich seine temperaturregulierten Ventile. Um Einbau, Einstellung und Nachjustierung der Ventile an wechselnde Verhältnisse muss sich die WEG selbst kümmern (Hausmeister, Sanitärbetrieb)

Strangentlüftungs-Ventile

Wie im zuvor aufgeführten Kapitel „Sonderfall 3-Zimmer-Wohnungen“ ist die Trinkwasser-Anlage in unserer Immobilie in 11 Stränge und zwei Druckbereiche eingeteilt. Beim Bau unseres Hauses wurden am Ende der Stränge und der Druckbereiche jeweils Strangentlüftungs-Ventile in die Warm- und die Kaltwasser-Leitungen eingebaut. In der Mainstraße 121 befinden sich in allen Bädern der 7. und der 13./14. Etage solche Entlüftungseinrichtungen. In den 3-Zimmer-Wohnungen dieser Etagen sind solche Entlüftungseinrichtungen zusätzlich auch in den Küchen verbaut.

Inzwischen wurden die Entlüftungseinrichtungen als potenziell hochgradige Legionellen-Quellen erkannt und auch in der Gefährdungsanalyse von Ing. Büro Brück entsprechend aufgeführt. Dies wird sofort plausibel, wenn man bedenkt, dass sich das Wasser zwischen dem Scheitelpunkt des Trinkwasserstrangs und der Entlüftungseinrichtung oft über Monate, wenn nicht Jahrzehnte ohne die geringste Bewegung befindet. Also die ideale Brutstätte für Legionellen, die dann leicht in den Trinkwasserstrang wandern können.

Die Legionellen-Arbeitsgruppe empfiehlt daher dringend den Austausch der eingebauten Strangentlüftungs-Ventile gegen Rohrentlüfter mit Spülautomatik.

Weiterführende Details sind in der „Entscheidungsvorlage für den Ersatz der in unserer Immobilie eingebauten Strangentlüftungs-Ventile“ beschrieben

Weitere Entwicklung

Bei aller Euphorie für die vorgestellten Zirkulationssysteme und den empfohlenen Austausch der Strangentlüftungs-Ventile darf aber nicht übersehen werden, dass die baulichen Grundprobleme unserer Trinkwasser-Anlage weiterhin bestehen bleiben:

  • Die Steigleitungen sind seit 50 Jahren in Betrieb und entsprechen der Technologie der 1970er Jahre
  • Die Anlage besteht größtenteils aus verzinktem Eisenrohr mit zu großem Durchmesser
  • Die Rohre (sowohl Wasser- als auch Heizungsrohre) sind praktisch ohne Wärme-Isolierung
  • Verzinkte Eisenrohre neigen zu extremer Verkalkung. Viele Eigentümer sind regelrecht geschockt, wenn sie erstmals die Verkrustung in ihren Rohren sehen

Entsprechend wird die abschnittsweise Strangsanierung auch in Zukunft notwendig bleiben. Wenn also ein Wohnungseigentümer eine Badsanierung bzw. Austausch der Bad-Fliesen plant, soll er unbedingt rechtzeitigen Kontakt mit der GBO bzw. dem Verwaltungsbeirat aufnehmen. Analog gilt dies auch bei einer Sanierung oder Umarbeitung einer Küche in einer 3-Zimmer-Wohnung. Nur so besteht die Möglichkeit, den betreffenden Schacht-Abschnitt problemlos zu öffnen und den Strang-Abschnitt gegen isolierte Edelstahl-Rohre auszutauschen und auch die Heizungsrohre zu isolieren. Die hierbei anfallenden Kosten der Strang-Abschnitt-Sanierung werden von der Eigentümer-Gemeinschaft getragen!! Lediglich der wahrscheinlich sinnvolle Austausch der wohnungseigenen Verrohrung muss auf Kosten des Wohnungseigentümers erfolgen.

Nur durch die abschnittsweise Strangsanierung haben wir Möglichkeit die Legionellenbelastung und die zukunftsorientierte Sanierung unserer Trinkwasseranlage in einem für Eigentümer und Mieter vertretbaren Rahmen in den Griff zu bekommen!!  Abbildung c: Ein noch nicht sanierter Strangabschnitt in der Mainstraße 121

 Abbildung d: Ein sanierter Strangabschnitt mit isolierten Kupfer- bzw. Edelstahl-Rohren in der Mainstraße 121
Abbildung d: Ein sanierter Strangabschnitt mit isolierten Kupfer- bzw. Edelstahl-Rohren in der Mainstraße 121
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